
Im Zweifel kein Pardon.
Rainer Gross ist einer von 18 Gefahrgut-Spezialisten bei Lufthansa Cargo in Frankfurt. Die Experten setzen die zahllosen Regularien kompromisslos in der täglichen Praxis um. Ergebnis: Bis heute gab es noch kein „Vorkommnis“ an Bord eines Flugzeugs, das den Kranich trägt. Das Buch ist eine ordentliche Schwarte: 910 Seiten im Format DIN A4. Hier hat die International Air Transport Association (IATA) einmal aufgelistet, was beim Transport von gefährlichen Gütern in Flugzeugen beachtet werden muss. „Das Ding hier“, sagt Rainer Gross und blickt auf das fünf Zentimeter dicke Regelwerk, „ist meine Bibel.“
In den „Dangerous Goods Regulations“ (DGR) ist akribisch aufgelistet, welche Stoffe und Chemikalien beim Lufttransport als gefährlich eingestuft sind und wie sie verpackt, gekennzeichnet und verladen werden müssen. Die DGR sind in neun Gefahrenklassen aufgeteilt. Dazu gehören explosive, entzündbare, toxische und auch ätzende Stoffe.
Dass radioaktives Material unter die DGR fällt, war zu erwarten. Dass aber auch Haarspray, Auto-Airbags, Erfrischungstücher, das zum Blondieren verwendete Wasserstoff-Peroxid und ein simpler Feuerlöscher Gefahrgut sind, wird den einen oder anderen überraschen. Manchmal ist auch von Land zu Land verschieden, was als gefährlich gilt: In den USA dürfen Lithium-Metall-Batterien grundsätzlich nur in Frachtflugzeugen und nicht im Frachtraum von Passagiermaschinen transportiert werden. In Deutschland dagegen ist der Transport dieser Knopfzellen, die mit Vorliebe in Uhren und Kameras Verwendung finden, an Bord von Passagierjets erlaubt – wenn die Menge fünf Kilogramm pro Packstück nicht übersteigt. Andernfalls heißt es auch hier: ab in den Frachtflieger!
Es ist eine kleine Wissenschaft, was im Flugzeug befördert werden darf und wie es verpackt werden muss.
Allein 144 Seiten auf blauem Papier benötigt das IATA-Regelwerk, um alle relevanten Gefahrgüter aufzuführen.
Noch umfangreicher sind die Verpackungsvorschriften. Auf gelbem Papier ist zwischen den Seiten 353 und 552 nachzulesen, wie welches Produkt verpackt werden muss – ob in Kisten, Fässern oder Kanistern – und welche Materialien dabei zu verwenden sind. Das reicht von Pappe über Holz und Kunststoff bis zu Stahl. Manchmal werden auch Kombi-Verpackungen vorgeschrieben. Jede Substanz bekommt hier „ihre“ Verpackung zugewiesen.
„Bei uns gibt es keine Kompromisse“,
unterstreicht Rainer Gross, einer von 18 Spezialisten für Dangerous Goods am Hub Frankfurt von Lufthansa Cargo: „Sicherheit ist das oberste Gebot. Das ist im Interesse der Hersteller, der Spediteure und nicht zuletzt der Airlines.“
Im separaten Lager für Gefahrgüter inspiziert Rainer Gross jedes der 85 Fässer mit Druckfarben, die heute von Frankfurt nach Johannesburg geflogen werden sollen. Gibt es Beulen, Beschädigungen, Leckagen? Ein paar Meter weiter prüft er danach Kartons mit Batterien für China: Die Kisten tanzen durch seine Hände.
Für Sekunden fixieren die Augen jede der sechs Seiten. Die Maxime der Gefahrgut-Spezialisten nämlich lautet: Jeder Karton hat sechs Seiten und jede Seite könnte beschädigt sein. Also wird auch jede Seite begutachtet.
„Alle Sendungen“, sagt Gross, „werden physisch und dokumentarisch auf Vollständigkeit, Unversehrtheit und korrekte Kennzeichnung überprüft. Auch die Angaben im Luftfrachtbrief und der Shipper’s Declaration for Dangerous Goods müssen übereinstimmen.“
Finden die Lufthansa-Spezialisten hier sicherheitsrelevante Beschädigungen der Fracht oder Fehler in der Dokumentation und Markierung der Packstücke, gibt es kein Pardon. Dann muss der Versender nachbessern. Sonst geht die Fracht nicht an Bord. „Was auf den ersten Blick vielleicht wie Bürokratie aussehen mag, ist in Wirklichkeit unsere kompromisslose Sicherheitsphilosophie“, betont Gross. Das zahlt sich aus. Der DGR-Spezialist kann sich nicht daran erinnern, „wann wir an Bord einer Lufthansa-Maschine Probleme mit Gefahrgütern hatten“. Mit der Globalisierung boomt das Geschäft mit Dangerous Goods bei Lufthansa Cargo. Im vergangenen Jahr wurden rund 47.000 Tonnen geflogen.
Im laufenden Jahr dürften es am Ende noch mehr geworden sein. Ob Spezialchemikalien, Farben, Düngemittel, radioaktive Isotope für die Krebstherapie an Universitätskliniken oder Airbags und Gurtstraffer für die Autoindustrie – die Liste der als gefährliche Güter eingestuften Sendungen ist lang. Trotzdem bleibe das Risiko überschaubar, so Rainer Gross: „Wenn die Sendung nach den IATA- Vorgaben ordentlich deklariert, dokumentiert und verpackt ist, gibt es keine Probleme.“ Dafür sorgen er und seine 17 Kollegen.
Fotos:
Stefan Wildhirt
In den „Dangerous Goods Regulations“ (DGR) ist akribisch aufgelistet, welche Stoffe und Chemikalien beim Lufttransport als gefährlich eingestuft sind und wie sie verpackt, gekennzeichnet und verladen werden müssen. Die DGR sind in neun Gefahrenklassen aufgeteilt. Dazu gehören explosive, entzündbare, toxische und auch ätzende Stoffe. Dass radioaktives Material unter die DGR fällt, war zu erwarten. Dass aber auch Haarspray, Auto-Airbags, Erfrischungstücher, das zum Blondieren verwendete Wasserstoff-Peroxid und ein simpler Feuerlöscher Gefahrgut sind, wird den einen oder anderen überraschen. Manchmal ist auch von Land zu Land verschieden, was als gefährlich gilt: In den USA dürfen Lithium-Metall-Batterien grundsätzlich nur in Frachtflugzeugen und nicht im Frachtraum von Passagiermaschinen transportiert werden. In Deutschland dagegen ist der Transport dieser Knopfzellen, die mit Vorliebe in Uhren und Kameras Verwendung finden, an Bord von Passagierjets erlaubt – wenn die Menge fünf Kilogramm pro Packstück nicht übersteigt. Andernfalls heißt es auch hier: ab in den Frachtflieger! Es ist eine kleine Wissenschaft, was im Flugzeug befördert werden darf und wie es verpackt werden muss. Allein 144 Seiten auf blauem Papier benötigt das IATA-Regelwerk, um alle relevanten Gefahrgüter aufzuführen. Noch umfangreicher sind die Verpackungsvorschriften. Auf gelbem Papier ist zwischen den Seiten 353 und 552 nachzulesen, wie welches Produkt verpackt werden muss – ob in Kisten, Fässern oder Kanistern – und welche Materialien dabei zu verwenden sind. Das reicht von Pappe über Holz und Kunststoff bis zu Stahl. Manchmal werden auch Kombi-Verpackungen vorgeschrieben. Jede Substanz bekommt hier „ihre“ Verpackung zugewiesen. |
„Bei uns gibt es keine Kompromisse“, unterstreicht Rainer Gross, einer von 18 Spezialisten für Dangerous Goods am Hub Frankfurt von Lufthansa Cargo: „Sicherheit ist das oberste Gebot. Das ist im Interesse der Hersteller, der Spediteure und nicht zuletzt der Airlines.“ Im separaten Lager für Gefahrgüter inspiziert Rainer Gross jedes der 85 Fässer mit Druckfarben, die heute von Frankfurt nach Johannesburg geflogen werden sollen. Gibt es Beulen, Beschädigungen, Leckagen? Ein paar Meter weiter prüft er danach Kartons mit Batterien für China: Die Kisten tanzen durch seine Hände. Für Sekunden fixieren die Augen jede der sechs Seiten. Die Maxime der Gefahrgut-Spezialisten nämlich lautet: Jeder Karton hat sechs Seiten und jede Seite könnte beschädigt sein. Also wird auch jede Seite begutachtet. „Alle Sendungen“, sagt Gross, „werden physisch und dokumentarisch auf Vollständigkeit, Unversehrtheit und korrekte Kennzeichnung überprüft. Auch die Angaben im Luftfrachtbrief und der Shipper’s Declaration for Dangerous Goods müssen übereinstimmen.“ Finden die Lufthansa-Spezialisten hier sicherheitsrelevante Beschädigungen der Fracht oder Fehler in der Dokumentation und Markierung der Packstücke, gibt es kein Pardon. Dann muss der Versender nachbessern. Sonst geht die Fracht nicht an Bord. „Was auf den ersten Blick vielleicht wie Bürokratie aussehen mag, ist in Wirklichkeit unsere kompromisslose Sicherheitsphilosophie“, betont Gross. Das zahlt sich aus. Der DGR-Spezialist kann sich nicht daran erinnern, „wann wir an Bord einer Lufthansa-Maschine Probleme mit Gefahrgütern hatten“. Mit der Globalisierung boomt das Geschäft mit Dangerous Goods bei Lufthansa Cargo. Im vergangenen Jahr wurden rund 47.000 Tonnen geflogen. Im laufenden Jahr dürften es am Ende noch mehr geworden sein. Ob Spezialchemikalien, Farben, Düngemittel, radioaktive Isotope für die Krebstherapie an Universitätskliniken oder Airbags und Gurtstraffer für die Autoindustrie – die Liste der als gefährliche Güter eingestuften Sendungen ist lang. Trotzdem bleibe das Risiko überschaubar, so Rainer Gross: „Wenn die Sendung nach den IATA- Vorgaben ordentlich deklariert, dokumentiert und verpackt ist, gibt es keine Probleme.“ Dafür sorgen er und seine 17 Kollegen. |
Fotos:
Stefan Wildhirt